Prof. Dr. Johann Ceh

Biberach

BärFrequently Asked Questions (Häufig gestellte Fragen)

 

F: Stimmt es, dass die Gehirnforschung eine Reihe von pseudowissenschaftlichen Hypothesen („Neuro-Mythen“) über psychische Prozesse (zum Beispiel: Das Lernen) ad absurdum geführt hat?

A:  Unser Gehirn gehört zu den letzten großen Rätseln unserer eigenen Biologie. Um unser Denkorgan ranken sich Legenden, Halbwahrheiten, hartnäckige pseudowissenschaftliche Mythen. Mythos

Eine Auswahl ...

Mythos: Hirnjogging macht schlau

Wenn jemand regelmäßig joggt, steigert er damit seine Laufleistung und er verbessert dadurch sein Leistungsvermögen auch in anderen Sportarten (Radfahren, Schwimmen, Tennis, ….). Das Gehirn zu fordern und zu trainieren - wie einen Muskel - ist eine naheliegende Methode, um geistig fit zu bleiben – doch ihre Wirkung ist umstritten. In einer groß angelegten Online-Studie (Neuropsychologe Adrian Owen und Kollegen, University of Cambridge) an der mehr als 11.000 Versuchsteilnehmer 6 Wochen lang teilnahmen wurden nach dem Zufallsprinzip 3 Gruppen gebildet.
Die Mitglieder der ersten Gruppe erhielten Trainingsaufgaben zu Schlussfolgern, Planen und Problemlösen, die zweite Gruppe Aufgaben für Gedächtnis, Aufmerksamkeit, räumliches Vorstellungsvermögen und mathematisches Verständnis, die Mitglieder der dritten Gruppe (Vergleichsgruppe) mussten belanglose Fragen beantworten. Ergebnis: Die ersten beiden Gruppen verbesserten sich – im Gegensatz zur dritten – in den Bereichen, in denen sie geübt hatten. Das Training hatte jedoch keine Auswirkungen auf die generelle geistige Leistungsfähigkeit, die „allgemeine Intelligenz“. Das bedeutet: Sudoku-Spielen führt nur dazu, dass man im Sudoku-Spielen besser wird.

Mythos: Unterschiedliche Lerntypen

Der Biochemiker Frederic Vester benutzte in seinem Bestseller „Denken, Lernen, Vergessen“ (1975) – entsprechend den Präferenzen, den einen oder anderen Sinneskanal zur Aufnahme von Wissen verstärkt einzusetzen – den Begriff des „Lernstils“. Vester unterteilte Menschen in visuelle, auditive, haptische und verbal-abstrakte Lerntypen. In einer Reihe von Bildungseinrichtungen werden die Kinder – dieser These folgend - getestet und in visuelle, auditive oder motorische Lerner eingeteilt. In objektiven Tests zeigte sich jedoch:
Es gibt keine signifikanten Unterschiede. Ein auditiver Typ lernt mit Bildern genau so gut oder schlecht wie ein visueller. Alle Kinder hatten die besten Lernergebnisse, wenn beim Lernen möglichst viele Sinneskanäle angesprochen wurden. Durch die „Mehrkanalität“ entsteht eine breit vernetzte Gedächtnisspur (quasi ein breiter „neuronaler Trampelpfad“), die sich bei der Wiedergabe des Gelernten leichter aktivieren lässt.

Mythos: Wir nutzen unser Gehirn nur zu 10 Prozent.

Die Anwendung bildgebender Verfahren (fMRT, PET,...) in der Hirnforschung zeigt, dass zu jedem Zeitpunkt nur kleine Teile unseres Gehirns aktiv sind.
Allerdings: Rechtfertigt diese Tatsache auch den Schluss, dass wir nur einen kleinen Teil unseres Gehirns benutzen? Unser Gehirn wiegt etwa 2 Prozent der Masse unseres Körpers und es verbraucht ungefähr 20 Prozent der gesamten Körperenergie. Die Hälfte dieses Energiebedarfs wird für die Sicherstellung der Betriebsbereitschaft unseres Gehirns benötigt. Es werden Ruhepotentiale aufrechterhalten, die für die geistigen Aktivitäten zur Verfügung stehen. Das Gehirn ist dabei extrem sparsam: Es aktiviert stets nur die relevanten Bereiche.
Allerdings: Intelligente Menschen aktivieren ihr Gehirn beim Lösen von Aufgaben weniger, aber zielgenauer. Die Annahme, dass nur ein kleiner Teil unseres Gehirns genutzt wird – dass also ein Großteil unseres Potentials brach liegt und nur darauf wartet, geborgen zu werden – ist also falsch; sie ist ein Neuromythos. Die verschiedenen Bereiche unseres Gehirns werden nicht gleichzeitig, sondern nacheinander aktiviert.
Die unhaltbare These, dass wir nur 10 Prozent unseres Gehirns nutzen, wird auch von Scientologen vertreten. Sie gehen mit dem Versprechen auf Menschenfang, auch die restlichen 90 Prozent freizusetzen.

Mythos: Gehirnforscher haben bewiesen, dass der freie Wille eine Illusion ist.Kaktus

Die umstrittene Behauptung der Hirnforschung, es gebe keinen freien Willen, hat viel öffentliches Interesse ausgelöst. Aus Sicht der Philosophie geht es dabei um den „Determinismus“, also die Vorstellung, dass zukünftige Ereignisse durch aktuell herrschende Bedingungen bereits vorherbestimmt sind. Seit Jahrhunderten streiten Philosophen darüber, ob der menschliche Geist durch natürliche oder göttliche Gesetze determiniert ist. Im Zusammenhang mit Willensfreiheit stellt sich die Frage, inwieweit unser Unterbewusstsein unsere Entscheidungen diktiert.
Die zu untersuchende These lautet: Wir denken zwar, wir hätten bewusste Kontrolle über uns selbst, in Wirklichkeit bestimmen aber unbewusste Gehirnprozesse unser Handeln.
Insbesondere die Ergebnisse einer Serie von Experimenten des US-amerikanischen Neurowissenschaftlers Benjamin Libet (University of California in San Francisco) interpretieren manche Hirnforscher als Widerlegung der Willensfreiheit. Libet maß 1983 mittels EEG die Hirnströme seiner Versuchsteilnehmer. Schon Zehntelsekunden bevor sie nach eigenen Angaben einen bewussten Drang verspürten, ihren Finger zu bewegen, trat ein elektrisches Signal auf, das die Bewegung vorhersagen konnte – ein sogenanntes Bereitschaftspotential. Der Berliner Neurowissenschaftler John-Dylan Haynes wiederholte das Experiment 2008 im Magnetresonanztomographen.
Fazit: Die Entscheidung steht im Gehirn nicht Zehntelsekunden, sondern häufig bereits 10 Sekunden fest, bevor sie ins Bewusstsein dringt. Ist damit bewiesen, dass der freie Wille eine Illusion ist?
Beim Libet-Experiment und seinen Nachfolgern bleiben wichtige Kennzeichen freier Willensbeschlüsse außen vor. Die Experimente ignorieren den Zeithorizont menschlicher Entscheidungen. Das langfristige Planen von Handlungen hat sich als sehr wichtig herausgestellt. Wer Situationen zuerst visualisiert (sie sich also erst vor dem inneren Auge vorstellt) oder bereits bestimmte Verhaltensregeln formuliert, führt eine beabsichtigte Handlung mit größerer Wahrscheinlichkeit erfolgreich aus. Menschen planen ihre Handlungen oft lange im Voraus, manchmal brechen sie diese auch mittendrin ab. Beides war in den Experimenten verboten. Zudem: Der gemessene spontane Drang, einen Knopf zu drücken, ist für den Alltag relativ irrelevant. Das Libet-Experiment und seine Nachfolger haben der Debatte um die Willensfreiheit kein Ende bereitet, auch wenn manche Wissenschaftler etwas anderes behaupten.

Mythos: Multitasking

Niemand kann mehrere komplexe Tätigkeiten zeitsparend und fehlerfrei gleichzeitig ausführen. Planung

Es gibt ganz eindeutig keine „parallelen Aufmerksamkeiten“. Wir können nicht an zwei Dinge gleichzeitig denken! Der Mensch kann nur zwischen zwei Konzentrationsobjekten hin und her wechseln. Wenn er das tut, gehen allerdings wichtige Informationspartikel verloren und die Energie, die für konzentriertes Arbeiten notwendig ist, ist schnell erschöpft. Multitasking ist ein Mythos.

Vgl. auch FAQ: „Ich habe oft große Probleme mich zu konzentrieren, ganz bei der Sache zu sein. Welche Hilfen zur Lösung meines Problems bietet die Psychologie an?“


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