Prof. Dr. Johann Ceh

Biberach

BärFrequently Asked Questions (Häufig gestellte Fragen)

F: Ich leide nicht selten unter der Angst, mich falsch zu entscheiden. Wie kann man seine Entscheidungskompetenz verbessern?  

A:   Etymologisch – also von der Wortherkunft her – hat „Entscheiden“ etwas mit „Scheiden“, also mit „Loslassen“ zu tun und manchmal wird vergessen, dass die Entscheidung für etwas,  immer gleichzeitig  die Entscheidung gegen etwas anderes ist.

Unser ganzes Denken ist eine permanente Abfolge von Entscheidungen. Amerikanische Psychologen haben herausgefunden: Pro Tag fällen wir bis zu 100.000 Entscheidungen, der allergrößte Teil davon fällt automatisch, d.h. unbewusst.

Klug entscheiden zu können ist eine Schlüsselqualifikation, die fächerübergreifend viele Türen öffnet.

BauchgehirnKopf oder Bauch – entscheidet die Neurochemie?
Bei dieser Frage geht es um das Zusammenwirken von Großhirn und „Reptilienhirn“. In unserem Bauchbereich befindet sich zudem ein neuronales Netzwerk, das eine ähnliche Struktur hat wie unser Gehirn. Bei Entscheidungen ist immer ein ganzer Cocktail von Botenstoffen beteiligt.

Um klug entscheiden zu können, brauchen wir i.d.R. Verstand und Gefühl, denn:  „Die reine Vernunft ist wirkungslos.“ (Gerhard Roth). Es gibt zwar reine Bauchentscheidungen (rein emotionale Entscheidungen), aber: Es gibt keine reinen Kopfentscheidungen. Ohne unsere Intuition wären wir jedenfalls im täglichen Leben „aufgeschmissen“.

Im Vergleich mit dem Tier – mit seinen in der Evolution geschärften Instinkten – verfügt der Mensch lediglich über Instinktresiduen. „Im Gegensatz zum Tier sagen dem Menschen keine Instinkte, was er muss; und dem Menschen von heute sagen keine Traditionen mehr, was er soll, und oft scheint er nicht mehr zu wissen, was er eigentlich will.“ (Viktor E. Frankl).

AntonioDer portugiesische Neurowissenschaftler Antonio Damasio postulierte, dass alle Erfahrungen eines Menschen (im Laufe seines Lebens) in einem emotionalen Erfahrungsgedächtnis gespeichert werden. Nach dieser Theorie werden sämtliche Erfahrungen emotional bewertet und nach einem einfachen Prinzip im Gehirn abgelegt: Positive Erfahrungen werden mit einem guten Gefühl markiert, negative mit einem schlechten.

Nach Damasio teilt sich dieses Erfahrungsgedächtnis über ein körperliches Signalsystem (sog. „Somatische Marker“) mit, das dem Menschen bei der Entscheidungsfindung hilft („Schmetterlinge im Bauch“, „Bauchweh“, „Kalte Füße“,…). Man bekommt auf diese Weise zwar einen Hinweis darauf, WIE man sich entscheiden soll, aber man weiß nicht WARUM. Solche Entscheidungen sind anderen Menschen argumentativ nicht vermittelbar und wenn es „schief geht“, tut man sich schwer, daraus zu lernen.

 Jedoch: Gefühle können auch in die Irre leiten, der Bauch sendet manchmal falsche Signale. Ein ungutes Bauchgefühl zum Beispiel kann total berechtigt, oder aber völlig irrational (z.B. bei Umstellung auf Linksverkehr im Ausland) sein.

Der Verstand sollte jedenfalls spätestens dann zugeschaltet werden, wenn es darum geht, längerfristige Konsequenzen des Handelns abzuschätzen. Allerdings: „Das lange Nachdenken und Abwägen von Handlungsalternativen ergibt nicht automatisch eine gute Entscheidung.“ (Gerhard Roth)

Mittel der Wahl ist die sog. „Aufgeschobene intuitive Entscheidung“ (nach rationaler Abwägung mindestens eine Nacht darüber schlafen). Dadurch bringt man rationales Vorgehen und emotionales Erfahrungswissen in Einklang.

Ab und an beeinträchtigen „Blinde Flecken“ (Systemfehler) in unserem Denken unser Entscheidungsvermögen.Blinder Fleck

Beispiele:
Beim „Hindsight Bias“ (Rückschaufehler) verändern spätere Informationen unser Bild von der Vergangenheit. Wir reden uns eine getroffene Entscheidung im Nachhinein schön.

Unter „Frequency-Validity-Effekt“ ist die Wirkung zu verstehen, dass uns eine Aussage umso glaubwürdiger (gültiger) erscheint, je häufiger (frequenter) wir sie zur Kenntnis nehmen.

„Thorndikes Effektgesetz“ entspricht der simplen Regel: Folgt auf eine Handlung ein angenehmer Zustand und sind wir damit erfolgreich, so wollen wir diese Handlung wiederholen. Wer etwa das Flimmern des Fernsehbildes mit einem Faustschlag auf das Gehäuse des Gerätes beseitigen kann, wird diese Praktik wohl auch in der Zukunft anwenden.

Beim Blinden Fleck „Fässer ohne Boden“ („sunk costs“) geht es um vergebliche Investitionen, die sich nicht mehr zurückholen lassen; sie sind ein für allemal verloren, sozusagen „versunken“. Wo liegt in diesem Zusammenhang das Problem? Wenn man aus einem verlustreichen Geschäft aussteigt, muss man zugeben, dass die vorhergehende Entscheidung falsch war.  Wenn ich zum Beispiel schon eine halbe Stunde in klirrender Kälte auf einen Autobus gewartet habe, fällt es mir schwerer zum Taxistand zu gehen, als wenn ich gleich ein Taxi genommen hätte.

Im Zusammenhang mit getroffenen Entscheidungen und ihren Konsequenzen spielt nicht selten das Konzept der „Kognitiven Dissonanz“ (Leon Festinger) eine Rolle.

Kognitive Dissonanz (KD) ist ein unangenehm (negativ) empfundener Gefühlszustand, der dadurch entsteht, dass wir gleichzeitig mehrere Kognitionen (Gedanken, Wahrnehmungen, Meinungen, Einstellungen, Wünsche, Absichten) in uns wahrnehmen, die nicht miteinander vereinbar sind. Der Mensch strebt grundsätzlich nach Harmonie und versucht Dissonanzen zu vermeiden.

KD tritt zum Beispiel auf, wenn man eine bestimmte Entscheidung getroffen hat, obwohl die Alternativen ebenfalls attraktiv waren oder, wenn man eine Entscheidung getroffen hat, die sich anschließend als Fehler erweist.

Ein Beispiel: Wir haben uns nach intensiven Recherchen und gründlichen Überlegungen für den Kauf eines bestimmten Produktes entschieden und erhalten nach dem Kauf Informationen, die die Richtigkeit unserer Kaufentscheidung in Frage stellen („Kaufreue“). Da KD als unangenehm empfunden wird, versucht man die Kognitionen in Einklang (in eine konsonante Beziehung) zu bringen, um den negativen Gefühlszustand zu beenden. Beispiel: Alle neuen Informationen, die zu einer getroffenen Entscheidung im Widerspruch stehen, werden einer Tendenz entsprechend abgewertet, während alle konsonanten Informationen tendenziell aufgewertet werden.

Die Qual der Wahl – Maximizer versus Satisficer
Beispiel Supermarkt: Maximizer wollen herausfinden, welches Produkt (Zahnpasta, Seife,…) das absolut Beste für sie ist. Dazu müssen sie theoretisch alle Möglichkeiten durchspielen, bevor sie sich für eine Alternative entscheiden. Selbst wenn sie am Ende eine gute Wahl getroffen haben, schmälert der Zweifel, dass es noch eine bessere hätte geben können, ihre Befriedigung.

Dem Satisficer-Typ genügen im Gegensatz dazu die Informationen, die ihm zur Verfügung stehen, um zu entscheiden, was er will, auch wenn sein Wissensstand alles andere als optimal ist. Er wählt das Erstbeste, was seinen Kriterien genügt – und ist zufrieden damit.

Das heutige Überangebot an Waren in Industrieländern macht insbesondere dem Typus Maximizer das Entscheiden schwer.

Besonders problematisch sind Entscheidungen unter Zeitdruck. Wenn man klug handeln möchte, sollte man keine übereilten Entscheidungen treffen. Über wichtige Entscheidungen sollte man mindestens eine Nacht – besser zwei! – schlafen. Fast nichts ist so wichtig, dass es nicht eine Nacht warten könnte.

Es gibt allerdings auch Adrenalin-Junkies, die erst unter Zeitdruck zu großer Form auflaufen und die einen solchen Zeitdruck-Kick direkt suchen. Manche tun es schlicht deshalb, weil sie dann – bei einer eventuellen Fehlentscheidung – im Nachhinein sagen können, sie hätten ja (leider) nicht genügend Zeit zum Überlegen gehabt.

Wer Zeitdruck vermeiden will, tut gut daran, Entscheidungen nach A-. B- und C-Kriterien – nach Wichtigkeit und Dringlichkeit („Eisenhower-Prinzip“)  - zu priorisieren.

Als Hilfen zur Fällung von ratio-gestützten Entscheidungen gibt es eine Reihe von bewährten Techniken:

Eisenhower

Zwei sehr hilfreiche Entscheidungstechniken, die  - nachvollziehbar und transparent  - Auswahlentscheidungen mit  belastbaren Zahlenergebnissen liefern,  sind die „Nutzwertanalyse“ NWA und der „Analytische Hierarchieprozess“ AHP.

NWA (Scoring-Modell, Punktebewertungsverfahren)
Die Technik eignet sich für quantitative und qualitative Problemstellungen. Man sucht die Alternative mit dem größten Nutzwert (Gewichtung x Erfüllungsgrad)-

AHP
Das Vorgehen ist ähnlich wie bei der NWA. Die Gewichtung der Kriterien erfolgt jedoch nicht direkt, sondern durch „Vollständigen Paarvergleich“ (jedes Kriterium wird systematisch mit jedem anderen unter dem Aspekt Wichtigkeit verglichen) und es erfolgt eine mathematisch-logische,  statistische Prüfung auf Widerspruchsfreiheit der Aussagen.


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